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Selbst Traditionen, die vielen Bürgern unverzichtbar erscheinen, werden vor dem Kadi gelegentlich infrage gestellt. Dazu zählt zum Beispiel der Wunsch, wenigstens im Advent und an Weihnachten den Glanz echter Kerzen genießen zu wollen. Eine Frau hatte ihren Christbaum damit geschmückt. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen (u.a. Aufstellen an sicherem Ort, ohne dass die Kerzen für längere Zeit unbeaufsichtigt brannten) war es zu einem Brand gekommen, der erheblichen Schaden anrichtete. Die Hausratversicherung wollte wegen des hohen Risikos der Kerzenflammen im Tannengrün nicht für den Schaden aufkommen. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein (Aktenzeichen 3 U 22/97) musste über den Fall entscheiden. Das Urteil fiel zu Gunsten der Frau aus. Sie habe nicht fahrlässig gehandelt. Grundsätzlich müsse es noch jedem erlaubt sein, den Christbaum mit Wachskerzen zu schmücken und diese auch anzuzünden.
Weit harmloser als ein Zimmerbrand war der Streit, den Wohnungseigentümer im Raum Düsseldorf ausfochten. Es ging um die Frage, ob man im gemeinschaftlichen Treppenhaus Parfüm versprühen darf, um für eine besondere Duftnote im Haus zu sorgen. Besonders in der Advents- und Weihnachtszeit wird das gerne gemacht. Die Nachbarn empfanden die Benebelung allerdings nicht als Wohlgeruch und gingen mit Hilfe eines Anwalts dagegen vor (Oberlandesgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 3 Wx 98/03). Das Grundproblem des Prozesses: Kann das Gemeinschaftseigentum in einer Wohnanlage auch durch Geruchsbildung unangemessen benutzt werden? Es kann, meinten die Juristen. Das Zusammenleben werde auf diese Weise über das unvermeidbare Maß hinaus beeinträchtigt. Mit dem Sprühen musste also Schluss sein. Für den Fall einer Zuwiderhandlung drohte das Gericht mit 500 Euro Ordnungsgeld.
An den Feiertagen wollen die meisten Menschen unbehelligt bleiben und nicht nur duftfrei, sondern vor allem auch ohne Ruhestörung leben. Vor dem Kadi wird diesem Wunsch in der Regel entsprochen. So bekam zum Beispiel ein Taubenzüchter, der rund 100 Vögel besaß, die Auflage, immer nur einen Teil der Tiere losflattern zu lassen, um die Ohren der Nachbarn zu schonen. An den hohen Festtagen wie Weihnachten verhängte das Verwaltungsgericht Münster (Aktenzeichen 2 K 1412/99) sogar ein partielles Flugverbot. Der Mann durfte jeweils erst am zweiten Feiertag die Luken öffnen. Das Recht auf Ruhe wird übrigens auch groß geschrieben, wenn es um Bauarbeiten geht. Als der Vermieter eines Hauses eines Tages ankündigte, vom 12. bis 22. Dezember werde eine neue Gasetagenheizung eingebaut, bremste ihn das zuständige Amtsgericht Köln (Aktenzeichen 215 C 293/93). Solche Arbeiten müssten im Regelfall nicht ausgerechnet vor Weihnachten stattfinden, hieß es im Urteil, und seien deswegen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Wie viel Brauchtum ist in der heutigen Zeit überhaupt noch zumutbar? Dieser Frage ging das Landgericht Düsseldorf (Aktenzeichen 25 T 500/89) in einem Zivilprozess nach, weil sich die Bewohner eines Hauses untereinander nicht einigen konnten. Einer von ihnen hatte nach alter Sitte einen Adventskranz an der Außenseite seiner Wohnungstür aufgehängt. Zum Verdruss der Nachbarn, wie er feststellen musste, denn die fühlten sich belästigt. Doch sie hatten mit ihrer Forderung nach sofortiger Entfernung des Kranzes keine Chance. Solch ein saisonbedingter Schmuck müsse geduldet werden, lautete das Urteil. Auch die Silvesternacht ist, ähnlich wie Advent und Weihnachten, häufig nicht stress- und streitfrei. Wenn sich Gerichte mit den letzten Stunden des alten und den ersten Stunden des neuen Jahres befassen müssen, dann geht es dabei meistens um Raketen und Böller, die ihr Ziel verfehlt haben. Statt im Himmel explodieren sie in der Nähe von Nachbarn und verletzen diese zum Teil schwer. Das Oberlandesgericht Nürnberg (Aktenzeichen 6 U 949/95) sprach beispielsweise einer Frau rund 12.000 Euro Schmerzensgeld zu, weil sie von einer Rakete im Auge getroffen war und dabei 90 Prozent ihrer Sehkraft verloren hatte. Selbst der Sicherheitsabstand von zehn Metern, den die Verantwortlichen hier eingehalten hatten, schien den Richtern zu gering. Je nach Gefahrenlage müssten sich die Feuerwerker auch deutlich weiter von ihrem Publikum entfernen.
Besonders fatal sind vermeintliche Blindgänger, die nach dem Zünden nicht gleich explodieren. Im Raum Köln feierte eine 18-Jährige im Haus ihrer Eltern mit Freunden Silvester. Einer der Partygäste sammelte scheinbar ungebrauchte Böller vom Boden auf und trug sie ins Wohnzimmer. Tatsächlich glommen die Sprengkörper noch und gingen kurz danach in die Luft, wobei sie enormen Schaden am Haus anrichteten. Das Oberlandesgericht Köln (Aktenzeichen 11 U 126/99) meinte, dass die Verantwortung beide treffe die junge Frau, weil sie das Ablegen der Böller im Wohnzimmer nicht verhindert und ihren Gast, weil er sich so fahrlässig verhalten habe.
Möglichst vom Feuerwerk ganz fern gehalten werden sollten Kinder. Wenn Eltern Zündeleien zulassen, dann haften sie unter Umständen für den daraus entstehenden Schaden. In einem Fall vor dem OLG Schleswig (Aktenzeichen 5 U 123/97) ging es um einen Siebenjährigen, der eigenständig Kracher anzünden durfte und prompt ein anderes Kind verletzte. Vater und Mutter hätten hier klar ihre Aufsichtspflicht verletzt, befand ein Zivilsenat. Für einen Buben dieses Alters sei das Hantieren mit Feuerwerkskörpern nicht angesagt.
Manchmal sind Gerichte auch etwas großzügiger. Verlassen sollte man sich darauf allerdings nicht. Ein Bastler hatte einen eigenen Sprengstoff erfunden und ihn auch patentieren lassen. Bei einer Silvesterfeier in seinem Haus holte er auf Bitten seiner Gäste das Glas mit der gefährlichen Substanz aus dem Keller. Schon bei der ersten Berührung explodierte der Sprengstoff und verletzte insgesamt vier Personen. Die private Haftpflichtversicherung des Hausherrn verweigerte mit der Begründung, es habe sich um eine gefährliche und ungewöhnliche Beschäftigung gehandelt, den Schadenersatz. Doch das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 20 U 165/98) entschied anders: Gerade an Silvester sei es nicht unüblich, sich etwas leichtsinnig zu verhalten, befanden die Juristen. Der Erfinder musste nicht haften. Wenigstens in der Beziehung hatte ihm das neue Jahr also etwas Glück gebracht.
Quelle: LBS
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